Anne Franks Eltern stammen beide aus bürgerlichen deutsch-jüdischen Familien. Die Mutter, Edith Holländer, wächst in einem jüdisch praktizierenden Elternhaus in Aachen auf. Otto Frank ist, wie er selber sagte, «in Deutschland in eine assimilierte Familie hineingeboren worden, die seit Jahrhunderten in jenem Land gelebt hatte». Nach der Hochzeit 1925 leben die beiden in Ottos Heimatstadt Frankfurt, wo 1926 Margot und 1929 Anne zur Welt kommen.
Die Judengasse in Frankfurt am Main. Stich von Matthäus Merian, 1628.
Die Franks sind insbesondere der Stadt Frankfurt am Main verbunden, wo ein Teil der Familie seit dem 16. Jahrhundert nachgewiesen ist. Bis 1811 durften sich die Frankfurter Juden – wie in anderen europäischen Städten auch – nur innerhalb des Ghettos niederlassen, in Frankfurt ist dies die Judengasse. Im Gefolge der Französischen Revolution, mit der Durchsetzung der Gleichberechtigung aller Konfessionen 1806 und vor allem mit der «Verordnung, die bürgerliche Rechtsgleichheit der Judengemeinde betreffend» erlangten sie in Frankfurt die Befreiung von Ghettozwang und Sonderabgaben. Die bürgerliche Emanzipation 1864 beförderte das Wachstum der jüdischen Gemeinde; sie wuchs bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts auf rund 22’000 Mitglieder an. Die jüdische Gemeinde Frankfurt gehört in dieser Zeit zu den bedeutendsten jüdischen Gemeinden Europas.
Alice und Michael Frank kurz nach ihrer Hochzeit 1886. © Anne Frank Fonds, Basel
Otto Franks Mutter, Alice Stern, kommt 1865 zur Welt. Sie wächst in Frankfurt in einem wohlhabenden Haushalt auf. Bis zu ihrem 15. Lebensjahr besucht sie die Schulen und erhält anschliessend in verschiedenen Fächern Privatunterricht. 1886 heiratet sie den vierzehn Jahre älteren Michael Frank.
Michael Frank stammt aus Landau in der Pfalz. Er ist das sechste von neun Geschwistern. Bei der Hochzeit ist der 35-Jährige ein erfolgreicher Geschäftsmann und bereits Teilhaber mehrerer Firmen. 1901 gründet er das «Bankgeschäft Michael Frank».
Alice und Michael Frank bekommen vier Kinder: Robert, Otto, Herbert und Helene (Leni). Anne Frank wird später in ihrem Tagebuch schreiben, dass ihr Vater Otto ein «richtiges Reicher-Eltern-Sohn-Leben»
geführt habe: «jede Woche Partys, Bälle, Feste, schöne Mädchen, Walzer tanzen, Diners, viele Zimmer und so weiter» (Tagebuch, 8. Mai 1944)
Die Geschwister Frank: Otto, Leni, Robert und Herbert um 1907. © Anne Frank Fonds, Basel
Nach dem überraschenden Tod von Michael Frank im Jahr 1909 übernimmt Alice das Bankgeschäft. Die mittlerweile erwachsenen Söhne Robert und Otto unterstützen die Mutter dabei.
1914 bricht der Erste Weltkrieg aus. Die drei Söhne der Familie Frank dienen als Frontsoldaten im deutschen Heer. Für seine militärischen Verdienste erhält Otto Frank nach dem Krieg das Eiserne Kreuz. Alice und die Tochter Leni engagieren sich in dieser Zeit als Hilfspflegerinnen in einem Armeehospital des Roten Kreuzes.
Ein wesentlicher Teil des Familienvermögens fliesst in den Kauf von Kriegsanleihen. Mit der Niederlage Deutschlands verliert die Familie einen beträchtlichen Teil ihres Kapitals. Die wirtschaftlichen und politischen Umstände führen zu einer konstanten Abwärtsspirale des Bankgeschäftes, das schliesslich Anfang 1934 liquidiert wird.
Leni Frank (rechts) als Lazaretthelferin 1916. © Anne Frank Fonds, Basel
Robert Frank als Soldat im Ersten Weltkrieg. © Anne Frank Fonds, Basel
Im März 1933 erringt auch im liberalen Frankfurt die NSDAP bei den Gemeindewahlen beinahe fünfzig Prozent der Stimmen. Der jüdische Oberbürgermeister Ludwig Landmann wird zum Rücktritt gezwungen. Der neue Bürgermeister, ein Mitglied der NSDAP, verfügt umgehend die Entlassung aller jüdischer Gemeindebeamten.
Am 1. April 1933 wird in allen grösseren deutschen Städten zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen. Dies ist der Auftakt zu einer Flut von antijüdischen Erlassen, die Juden aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens ausschliessen wollen. Boykotte, Ausgrenzung und Verfolgung machen das Leben für Juden in Deutschland zunehmend schwer und gefährlich. Es folgen am 10. Mai 1933 die Bücherverbrennung und 1935 die Nürnberger Rassengesetze, die Eheschliessungen und Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Nicht-Juden verbieten. Mit der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 erreicht die von der NSDAP betriebene Entrechtung der Juden einen vorläufigen Höhepunkt.
Erich Elias, seit 1921 mit Otto Franks Schwester Leni verheiratet und zunächst ebenfalls für die Bank tätig, sucht ab Herbst 1929 ein neues Auskommen. In Basel baut er eine Schweizer Niederlassung der Pomosin / Opekta-Werke auf, einer Firma, die Geliermittel für Konfitüren herstellt. Leni zieht zwei Jahre später mit dem jüngeren Sohn Buddy nach, der ältere Sohn Stephan folgt 1932, und im Oktober 1933 kommt auch Alice Frank nach Basel. Ottos jüngerer Bruder Herbert geht 1932 nach Frankreich, während der ältere Bruder Robert sich 1933 in England niederlässt.
Auch Otto und Edith Frank verlassen 1933 Frankfurt. Sie gehen in die Niederlande, im Vertrauen darauf, dass deren Neutralität im Kriegsfall – wie im Ersten Weltkrieg – respektiert würde.
Edith und Margot (stehend) mit der Grossmutter Alice Frank und Cousin Stephan Elias in Frankfurt 1927. © Anne Frank Fonds, Basel
Familienspaziergang in Frankfurt am Main. Stephan Elias, Otto, Margot (im Kinderwagen), Dadi (Kinderfrau) und Edith Frank mit Buddy Elias um 1927 (v.l.n.r.) © Anne Frank Fonds, Basel
Das Haus von Alice Frank an der Jordanstrasse 4, (später Mertonstrasse und heute Dantestrasse) in Frankfurt am Main. © Anne Frank Fonds, Basel
Mit Unterstützung seines Schwagers Erich Elias und seines Cousins Jean-Michel Frank beginnt Otto Frank 1933 in Amsterdam mit dem Aufbau eines Lizenzunternehmens der Opekta-Werke. Edith Frank und die Töchter verbringen einige Monate bei ihrer Mutter Rosa Holländer in Aachen. Ende 1933 folgt sie ihrem Mann mit Margot nach Amsterdam, im Februar 1934 ist die Familie nach der Ankunft von Anne wieder vereint. Im März 1939 flüchtet auch Ediths Mutter aus Aachen nach Amsterdam, wo sie bis zu ihrem Tod im Januar 1942 bei der Familie Frank am Merwedeplein wohnt.
Rosa Holländer-Stern, Edith Franks Mutter. © Anne Frank Fonds, Basel
Anne und Margot Frank am Strand, im Hintergrund die Grossmutter Rosa Holländer, Zandvoort im Juli 1939. © Anne Frank Fonds, Basel
Am 1. September 1939 löst Hitler mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg aus. Im Mai 1940 besetzt die deutsche Wehrmacht die Niederlande.
«Ab Mai 1940 ging es bergab mit den guten alten Zeiten: erst der Krieg, dann die Kapitulation, der Einmarsch der Deutschen, und das Elend für uns Juden begann. Judengesetz folgte auf Judengesetz, und unsere Freiheit wurde sehr beschränkt. Juden müssen einen Judenstern tragen; Juden müssen ihre Fahrräder abgeben; Juden dürfen nicht mit der Strassenbahn fahren; Juden dürfen nicht mit einem Auto fahren, auch nicht mit einem privaten; Juden dürfen nur von 3-5 Uhr einkaufen; Juden dürfen nur zu einem jüdischen Friseur; Juden dürfen zwischen 8 Uhr abends und 6 Uhr morgens nicht auf die Strasse; Juden dürfen sich nicht in Theatern, Kinos und an andern dem Vergnügen dienenden Plätzen aufhalten; Juden dürfen nicht ins Schwimmbad, ebenso wenig auf Tennis-, Hockey- oder andere Sportplätze; Juden dürfen nicht rudern; Juden dürfen in der Öffentlichkeit keinerlei Sport treiben; Juden dürfen nach acht Uhr abends weder in ihrem eigenen Garten noch bei Bekannten sitzen; Juden dürfen nicht zu Christen ins Haus kommen; Juden müssen auf jüdische Schulen gehen und dergleichen mehr. So ging unser Leben weiter, und wir durften dies nicht und das.»
Tagebuch, 20. Juni 1942
Juden werden auch in den besetzten Gebieten in ihrem beruflichen und gesellschaftlichen Leben massiv eingeschränkt. Im Juli 1942 beginnen die Deutschen mit der Deportation niederländischer Juden, offiziell für den «Arbeitseinsatz im Osten». Margot erhält am 5. Juli 1942 die schriftliche Aufforderung, sich zum Abtransport zu melden. Einen Tag später, am 6. Juli, bezieht die Familie das Versteck im Hinterhaus der Opekta-Niederlassung an der Prinsengracht 263. Otto Frank hatte bereits Monate zuvor zusammen mit Helfern begonnen, das Versteck einzurichten.
Miep Gies, Johannes Kleiman, Otto Frank, Victor Kugler und Bep Voskuijl (v.l.n.r.), Amsterdam 1935. © Anne Frank Fonds, Basel
Dort lebt die Familie Frank zuerst allein, später mit der Familie van Pels – Hermann, Auguste und ihr Sohn Peter – sowie dem Zahnarzt Fritz Pfeffer, während über zwei Jahren. Anne Frank beschreibt in ihrem Tagebuch Alltag und Zusammenleben im Versteck.
Otto Frank zeigt einer Besucherin den geheimen Eingang zum Hinterhaus. © Anne Frank Fonds, Basel
Das Versteck im Hinterhaus wird im August 1944 entdeckt, vermutlich durch Verrat. Zur Zeit der Besatzung gab es zahlreiche «Kopfgeldjäger», die sich mit den Verhaftungsprämien ihren Lebensunterhalt verdienten. Die genauen Umstände, die zur Entdeckung des Verstecks führten, liessen sich nie vollständig klären.
Am 4. August werden die acht Untergetauchten verhaftet und in das Durchgangslager Westerbork gebracht. Zusammen mit ihrer Schwester und ihren Eltern wird Anne Frank am 3. September mit dem letzten Zug in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Der Transport in einem Viehwaggon dauert drei Tage und drei Nächte. Auf der Rampe von Auschwitz werden die Familien auseinandergerissen. Die Mädchen bleiben vorerst mit der Mutter im Lager Auschwitz-Birkenau. Im Oktober werden sie von der Mutter getrennt und in das KZ Bergen-Belsen deportiert. Edith Frank stirbt am 6. Januar in Auschwitz-Birkenau an Hunger und Schwäche. Anne und Margot Frank sterben im März 1945 an Krankheit. Otto Frank überlebt als einziger der acht Bewohner des Hinterhauses das Arbeits- und Konzentrationslager.
Otto Franks Mutter Alice und seine Geschwister – Robert in England, Leni mit ihrer Familie in der Schweiz und Herbert in Frankreich – überleben den Krieg. Ediths Brüder Julius und Walter Holländer war vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs die Flucht in die USA gelungen: Auch sie haben überlebt.
Die Geschwister Frank nach dem Krieg: Otto, Robert und Herbert (hinten), Leni Elias (vorne). © Anne Frank Fonds, Basel
«Wie herrlich ist es, dass niemand eine Minute zu warten braucht, um damit zu beginnen, die Welt zu verändern!»
Aus: Pressler, Gib!
26. März 1944